Auf der Insel der Hundertjährigen

Zum Abschluss ihrer Japan-Forschungsreise besuchte Sabina Misoch, Leiterin des Interdisziplinären Kompetenzzentrums der FHS St.Gallen, die Insel Okinawa, auch bekannt unter dem Namen «Die Insel der Hundertjährigen». Dort traf sie ihren japanischen Forscherkollegen Makoto Suzuki.

Marion Loher

Weltweit gibt es nur ein paar wenige Regionen, in denen ungewöhnlich viele Hundertjährige leben. Die japanische Insel Okinawa ist eine davon. Der Kardiologe und Altersforscher Makoto Suzuki wollte herausfinden, weshalb die Menschen auf der Insel so lange leben und lancierte vor über 40 Jahren eine Studie über diese Hundertjährigen. Und Makoto Suzuki forscht weiter. Mittlerweile ist es wohl die am längsten andauernde wissenschaftliche Untersuchung über das Leben von Hundertjährigen. Sabina Misoch, Leiterin des Interdisziplinären Kompetenzzentrums (IKOA-FHS), hatte zum Abschluss ihrer Forschungsreise die Möglichkeit, ihren japanischen Forscherkollegen zu treffen und mit ihm über die bisherigen Ergebnisse zu sprechen. Doch bis es soweit war, dauerte es etwas.

Wie es zur Studie kam

«Es war nicht ganz einfach, Makoto Suzuki überhaupt zu finden», erzählt Sabina Misoch nach ihrer Rückkehr in die Schweiz und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. «Er ist ja bereits 83 Jahre alt und arbeitet nicht mehr an der Universität, sondern an dem von ihm ins Leben gerufenen Institut für Langlebigkeitsforschung.» Sie hatte zwar die Adresse seines Büros, dort gab es aber weder Hausnummern noch Namensschilder. Also machte sie sich auf die Suche und klopfte (vergeblich) an vielen Türen, bis ein älterer Mann eine rostige Tür öffnete und nach draussen schaute. Er habe nachschauen wollen, wo sie bleibe, da er sich langsam Sorgen gemacht habe, sagte Makoto Suzuki im Nachhinein. «Ich habe ihn gesehen und wusste sofort: Das muss er sein!», so Sabina Misoch.

Der Kardiologe Makoto Suzuki war vor über 40 Jahren nach Okinawa gegangen, um hier eine medizinische Fakultät aufzubauen. Dabei fiel ihm auf, dass es auf der Insel sehr viele und sehr gesunde Hochaltrige gibt. Jemand habe ihm daraufhin den Namen einer 100 Jahre alten Frau gegeben, die er aufsuchen soll und die ihm mehr über das Phänomen erzählen könne, erinnert er sich. Makoto Suzuki verstand aber den Dialekt der Insulaner nicht richtig, ebenso wenig den Namen dieser Frau. Auf eigene Faust sei er dann losgefahren und habe auf einem Feld eine Frau getroffen, die er nach der Hundertjährigen fragte. Sie habe gelacht und gesagt, dass sie die gesuchte Person sei. Der Mediziner war überrascht, da sie nicht älter als 70 Jahre zu sein schien. Und die Studie hatte ihre erste Teilnehmerin.

Wer gesund lebt, lebt länger

In regelmässigen Untersuchungen und Befragungen wurden – und werden noch heute – Gesundheitszustand, Lebensweise und soziale Umstände ermittelt. Mittlerweile haben die Forscher Daten von über 1000 Hundertjährigen und es hat sich gezeigt, dass die Menschen auf der Insel nicht nur lange leben, sondern auch sehr gesund sind. Es gebe kaum Schlaganfälle, kaum Herzkrankheiten, kaum Fälle von Demenz, sagt Sabina Misoch. Ein wichtiger Faktor für die Langlebigkeit ist gemäss Makoto Suzuki die Lebensweise dieser Menschen. «Sie werden gebraucht, leben in enger Gemeinschaft mit anderen und sehen dadurch einen Sinn in ihrem Leben.» Ausserdem ernähren sie sich gesund (wenig Fleisch und viel Gemüse), bewegten sich viel an der frischen Luft und würden kein Fast-Food essen. Dazu komme das «Hara Hachi Bu»: Die Philosophie, nur so viel zu essen, bis man sich zu 80 Prozent satt fühlt.

Die bisherige Forschung ist der Ansicht, dass eine Langlebigkeit zu 75 Prozent von der Lebensweise beeinflusst wird. Der japanische Arzt und Altersforscher geht gar einen Schritt weiter und spricht von 90 Prozent. Die restlichen 10 Prozent seien genetisch bedingt. Er sagt aber auch: Die Hundertjährigen würden aussterben. Denn seit amerikanische Essgewohnheiten wie Fast-Food auf der Insel Einzug gehalten haben, würden die Jüngeren nicht mehr so gesund essen und leben.

Fotos: Sabina Misoch