Exklusion hat viele Gesichter

Sozialer Ausschluss oder verhinderte gesellschaftliche Teilhabe im Alter hat komplexe Ursachen und vielfältige Ausdrucksformen, so vielfältig wie ältere Menschen eben sind. Am ROSEnet Fachforum in Fulda vertieften rund 40 Fachpersonen aus Praxis und Politik sowie Altersforschende verschiedener Hochschulen in Deutschland, der Schweiz und Grossbritannien im gegenseitigen Austausch ihr Wissen zu sozialräumlicher Exklusion im Alter.

Martin Müller

ROSEnet ist ein von der EU gefördertes Netzwerk von 136 Expertinnen und Experten für Altersforschung aus 41 Ländern. ROSEnet steht für Reducing Old-Age Exclusion in Europe und fördert Wissensaustausch und Vernetzung von Wissenschaft, Politik und Praxis. Auf Einladung einer Arbeitsgruppe um Monika Alisch und Susanne Kümpers von der Fachhochschule Fulda beteiligen sich Nicole Lieberherr und Martin Müller vom IFSAR-FHS am Fachforum zu Sozialräumlicher Ausgrenzung im Alter vom 7. und 8. März 2019.

Multidimensionale Ursachen

Exklusion oder ungenügende Teilhabe im Alter kann viele Gesichter haben – so viele, wie alte Menschen eben haben. Da ist die alleinstehende Dame mit guter Bildung, die ohne ihren Beruf, der so wichtig war, nicht mehr leicht Freundschaften findet. Da ist das Ehepaar, das mit der knappen Rente nicht an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen kann und sich auch etwas schämt. Da ist die Flüchtlingsfrau, die Informationen auf Deutsch nicht versteht und deshalb nicht weiss, wer ihr helfen könnte. Da ist der allein stehende Mann, dessen Wohnblock einem Neubau weichen muss; er leidet unter dem Misstrauen, das ihm bei Bewerbungen begegnet.

Exklusion, so fasst Thomas Scharf von der University of Newcastle in seinem Referat zusammen, hat multidimensionale Ursachen. Ihre Treiber liegen auf struktureller Ebene (z.B. Altersdiskriminierung, globale Trends wie Digitalisierung und Migration, politische Massnahmen), auf ölologischer (Segregation des Wohnraums nach Lebensaltern oder durch Gentrifizierung von Stadtteilen) und auf individueller (Lebensereignisse, gesundheitliche Probleme, zerstörte Beziehungsnetze u.a.m.). Allerdings wissen wir noch viel zu wenig über das Zusammenspiel dieser Ebenen, d.h. über die Prozessdynamiken, die zu Exklusion älterer Menschen führen – existiere sie sichtbar oder im Verborgenen.

Weil durch sie zentrale Werte unserer Gesellschaften wie Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt auf dem Spiel stehen, braucht es Anstrengungen in verschiedenen Bereichen: besseres Verstehen durch Theoriebildung; neue empirische Untersuchungen zu den verschiedenen Phänomenen oder zu spezifischen Gruppen; das Aufdecken und Analysieren von Machtverhältnissen in unterschiedlichen Räumen; fachliches Handeln in der Praxis im Bewusstsein der multidimensionalen Zusammenhänge; Widerstand gegen sozialstaatlichen Abbau, der politisches Handeln zugunsten der Teilhabe begrenzt und ältere Menschen ausgrenzt. Mit dem Fachforum in Fulda wurde der Grundstein gelegt, um den Austausch und die Vernetzung über den Kreis der ROSEnet-Mitglieder hinaus voranzutreiben.