Flauschige Roboter-Robbe als Therapiehelfer

«PARO» ist eine Roboter-Robbe und wird weltweit bei der Therapie von Menschen mit Demenz eingesetzt. Ihr Erfinder ist der Japaner Takanori Shibata. Sabina Misoch, Leiterin des Interdisziplinären Kompetenzzentrums Alter an der FHS St.Gallen, hat sich mit ihm auf ihrer Forschungsreise in Japan getroffen.

Marion Loher

In Japan wird Takanori Shibata verehrt. Der 49-jährige Ingenieur hat vor über einem Jahrzehnt den Therapie-Roboter «PARO» entwickelt, der aussieht wie eine junge Sattelrobbe und heute weltweit in der Altenpflege zum Einsatz kommt: als Therapiehelfer, Spielgefährte und Tröster. Sabina Misoch hat diese Verehrung des Japaners aus nächster Nähe miterlebt.

«Bei unserem Treffen in Tokyo haben wir eine Ausstellung besucht, in der verschiedene neueste Technologien zu sehen sind. Unter anderem ist auch der «PARO» ausgestellt», erzählt die Altersforscherin und Projektleiterin des nationalen Innovationsnetzwerks «Alter(n) in der Gesellschaft», im Interview per Skype. «Als die Mitarbeiterinnen der Ausstellung Takanori Shibata sahen, flippten sie schier aus und liessen ihn nicht mehr aus den Augen.» Mit einem Schmunzeln fügt Sabina Misoch hinzu: «Wir sind dann mit einem Harem von Frauen durch die Ausstellung gewandert.»

«PARO» für Living Labs testen

Sabina Misoch ist seit längerem in Kontakt mit dem Erfinder des Therapie-Roboters. Bislang allerdings nur per Email. Das erste persönliche Treffen von vergangener Woche in Japan wollten die beiden nutzen, um ein gemeinsames Forschungsprojekt aufzugleisen. «Ich habe ihm erzählt, dass wir ‹PARO› gerne für unsere Living Labs testen wollen», sagt die Altersforscherin. Demnach soll die flauschige Roboter-Robbe bei jenen Menschen zum Einsatz kommen, die an Demenz im Frühstadium leiden, aber noch in den eigenen vier Wänden wohnen können.

Takanori Shibata sei am Projekt sehr interessiert, da der Therapie-Roboter bislang hauptsächlich stationär und bei Menschen mit Demenz im mittleren und späten Stadium angewendet werde, sagt Sabina Misoch. In Japan sei «PARO» aber auch schon an Menschen erprobt worden, die an Demenz im Frühstadium leiden. Die Stichprobe der Studie sei zwar klein gewesen, habe aber zeigen können, dass sich die Krankheit im Zeitraum der Studie nicht verschlechtert habe. «Es wäre natürlich toll, wenn der Therapie-Roboter den Verlauf der Demenz verlangsamen könnte», sagt die Altersforscherin. Um herauszufinden, ob es tatsächlich so sei, brauche es aber viel mehr Daten. Und hier will Sabina Misoch mit Living Labs einen eigenen wissenschaftlichen Beitrag leisten.

In Europa höchst umstritten

Der Therapie-Roboter «PARO» ist in Europa nicht unumstritten. Es sind vor allem ethische Fragen, die dem Einsatz der künstlichen Robbe entgegenstehen. Gegner führen ins Feld, dass es Betrug an den Patienten sei, da diese nicht mehr unterscheiden könnten, ob es eine echte oder eine künstliche Robbe sei. Für Sabina Misoch ist dies aber nicht die entscheidende Frage, denn im Zentrum sollte das Wohlbefinden der Patienten stehen. «Wenn die Patienten Freude an der Auseinandersetzung mit «PARO» haben, und dies dann gleichzeitig auch noch die Pflegenden entlastet, so ist das positiv zu werten», sagt sie.

In Japan hat die Wissenschaftlerin keine kritischen Diskussionen wahrgenommen. Im Gegenteil: «Die Regierung unterstützt und propagiert die neuen Technologien, die für das Alter entwickelt werden.» Takanori Shibata will bei seiner nächsten Europareise – wahrscheinlich noch diesen Dezember oder Januar – einen Abstecher in die Schweiz machen und an der Fachhochschule St.Gallen einen Vortrag zum Thema halten. «Ich bin gespannt auf seine Antworten zu diesen kritischen Fragen.»

Weniger Stress, besserer Schlaf

Für Sabina Misoch hat «PARO» den Vorteil, dass man im Gegensatz zu einem Hund oder einer Katze keine Erwartungshaltung an eine Robbe habe: Keiner wisse, wie es ist, eine Robbe im Arm zu halten, sagt sie. So könnten die interaktiven Reaktionen des Therapie-Roboters selber bestimmt werden. Er reagiert, blinzelt, macht Geräusche und wackelt mit der Schwanzflosse. Ausserdem erhöhen das weiche Fell, die langen Wimpern und die grossen Kulleraugen den Niedlichkeitseffekt.

«Untersuchungen haben ergeben, dass Menschen mit Demenz dank der flauschigen Roboter-Robbe weniger Stresssymptome zeigen und weniger Medikamente brauchen. Sie sind aktiver und schlafen besser.» Ausserdem werde das Pflegepersonal entlastet. «Das ist nicht zu unterschätzen, denn die Arbeit mit Menschen, die an Demenz leiden, ist sehr anspruchsvoll», weiss die Altersforscherin.

Foto: Sabina Misoch