Wenn aus dem Bett ein Rollstuhl wird

Auf ihrer Forschungsreise in Japan hat Sabina Misoch, Leiterin des Interdisziplinären Kompetenzzentrums Alter, internationalen Wissenschaftlern und Vertretern von Industrie ihr Living-Lab-Projekt vorgestellt. Das Treffen wäre jedoch beinahe ins Wasser gefallen.

Marion Loher

Der Workshop im Tokyo International Forum war auf vergangenen Montag angesetzt. Am Wochenende davor war allerdings noch unklar gewesen, ob er auch stattfinden kann. Der Taifun Lan mit Stärke 4 hatte sich angekündigt – «und wir wussten tags zuvor nicht, wie heftig die Auswirkungen sein werden», erzählt Sabina Misoch im Skype-Interview. Seit bald vier Wochen ist die Leiterin des Interdisziplinären Kompetenzzentrums Alter (IKOA-FHS) auf Forschungsreise in Japan. Dort trifft sie sich mit Wissenschaftlern und Industriepartnern, um sich über neue technologische Lösungen auszutauschen und Kontakte zu möglichen Forschungspartnern zu knüpfen.

Eine gute Gelegenheit hierfür bot der Workshop im Tokyo International Forum. Die Altersforscherin wollte an diesem Treffen zudem das Living-Lab-Projekt vorstellen, und das konnte sie dann auch. Der Taifun hatte sich in der Nacht auf Montag abgeschwächt und der Workshop konnte durchgeführt werden. Nebst Sabina Misoch waren zu diesem Treffen weitere Vertreter von Forschung und Industrie geladen, die sich mit Robotikanwendungen und technologischen Assistenzlösungen für ältere Menschen auseinandersetzen.

Japan setzt auf Technik

«Zusätzlich zum demographischen Wandel haben wir in der Schweiz derzeit einen zunehmenden Fachkräftemangel und immer weniger informelle Pflegende, weil Frauen – verständlicherweise – sich mehr im Berufsleben engagieren», sagt die Wissenschaftlerin. Es sei eine Situation, wie sie Japan derzeit auch kenne. «Im Unterschied zur Schweiz aber», so Sabina Misoch, «setzen die Japaner stark auf technische Lösungen.» In der Schweiz ist man diesbezüglich zurückhaltender. «Wir haben in einer kleinen Studie untersucht, welche Emotionen verschiedene Robotiklösungen bei Schweizer Seniorinnen und Senioren hervorrufen.»

Den Studien-Teilnehmerinnen und -teilnehmern wurden unter anderem Filme gezeigt, in denen Roboter jemanden waschen oder jemandem etwas zu trinken bringen. «Beim Getränkebringen hatten die wenigsten Mühe, bei der Pflege hingegen die meisten», sagt sie. «Je persönlicher und intimer die Situation ist, desto unbeliebter ist die Robotik-Lösung. Vor allem dann, wenn der Roboter android ist, das heisst sehr menschenähnlich.»

Doch woher kommt diese starke Abneigung von Robotern in unserer Kultur? «Vermutlich ist es die Angst vor dem Unbekannten», sagt Sabina Misoch. «Im Gegensatz zu den Japanern sind wir nicht gewohnt, dass in Geschäften unsere Fragen auch schon einmal von einem Roboter beantwortet werden.» Zudem seien die Assoziationen mit Robotern in Japan eher positiv, in Science-Fiction-Filmen beispielsweise retteten die Roboter die Menschheit, in den Phantasieszenarien bei uns stellten die Roboter eher das Bedrohliche und Unkontrollierbare dar.

«Aufwand für Living Labs ist gross»

Am Living-Lab-Projekt, dem vom IKOA derzeit betriebenen Gegenmodell zu den klassischen artifiziellen Laboren, waren die Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern gemäss Sabina Misoch «sehr interessiert». Anscheinend habe es in Japan vor 20 Jahren schon ein ähnliches Projekt gegeben, das aber wieder aufgegeben wurde. Die Wissenschaftlerin überrascht das nicht. «Der Aufwand, Living Labs nachhaltig zu betreiben, ist gross», sagt sie. «Es braucht mehrere Datenerhebungen vor, während und nach der Testphase. Die Testpersonen müssen betreut und befragt werden. Die Auswertungen sind zeitintensiv und die Testläufe aufgrund dessen relativ teuer.» Nichtsdestotrotz gäben Living Labs validere Aussagen über Usability und Akzeptanz als die klassischen Labs. Eine Delegation eines Japaner Forschungszentrums will sich noch in diesem November vor Ort ein Bild vom Projekt machen.

Spannende Vorträge, innovative Projekte

Für Sabina Misoch hat sich der Workshop gelohnt, nicht nur wegen des grossen Interesses an den Living Labs. «Auch die anderen Vorträge waren spannend.» Der Direktor des Department of Assistive Technology Research Institute habe beispielsweise eine innovative Methodik aufgezeigt, um Senioren in Tests miteinzubeziehen und gemeinsam innovative Projekte zu kreieren.

Und der General Manager Robot & Rehab Business von Panasonic präsentierte ein Bett, das sich automatisch durch Knopfdruck in einen Rollstuhl verwandeln lässt. «Eine grossartige Innovation», sagt Sabina Misoch. «Solche Betten könnte ich mir sehr gut auch in der Schweiz vorstellen, allerdings eher für Institutionen und weniger für Menschen, die zu Hause leben.» Bereits wurden erste Gespräche über eine mögliche Testung in der Schweiz geführt.

Fotos: Sabina Misoch und JISC Japanese Industrial Standards Commitee