Ein Selfie mit der Roboter-Robbe

Der Japaner Takanori Shibata hat vor fast 20 Jahren den Therapie-Roboter PARO entwickelt. Mittlerweile kommt PARO in über 30 Ländern weltweit in der Altenpflege zum Einsatz. Auf Einladung von Sabina Misoch, Leiterin des Interdisziplinären Kompetenzzentrums Alter an der Fachhochschule St.Gallen, kam der Wissenschaftler vergangene Woche für einen Vortrag nach St.Gallen und er hatte eine Überraschung im Gepäck.

Marion Loher

Sie hat ein samtweiches Fell, schwarze Kulleraugen und eine niedliche Stupsnase: Die junge Sattelrobbe sieht aus wie ein Plüschtier – und sie fühlt sich auch so an. Sie ist aber viel mehr als nur ein Tier zum Kuscheln. PARO, so heisst die Robbe, ist ein Roboter, der weltweit bei der Therapie von Menschen mit Demenz eingesetzt wird. Entwickelt wurde die Roboter-Robbe vom Japaner Takanori Shibata.

Vergangene Woche kam der 50-jährige Wissenschaftler für einen Vortrag an die Fachhochschule St.Gallen. Mit im Gepäck hatte er zwei Roboter-Robben. Eine weisse und eine graue. Sie waren dann auch die heimlichen Stars an diesem Abend. Das Publikum durfte sie anfassen, auf den Arm nehmen, streicheln und sogar ein Selfie mit ihnen machen. Der Jöh-Effekt war gross. Farblich seien diese beiden Robben am beliebtesten, sagte Takanori Shibata. In Gold und Pink gebe es sie zwar auch noch, aber die seien vielen zu auffällig.

Der Wissenschaftler war von Sabina Misoch, die an der FHS das Interdisziplinäre Kompetenzzentrum Alter leitet, eingeladen worden. Die beiden stehen seit rund einem Jahr in Kontakt und trafen sie sich im vergangenen Oktober in Tokyo, als Sabina Misoch auf Forschungsreise in Japan weilte. An der Fachhochschule St. Gallen sprach Takanori Shibata über PARO und seine Wirkung, Sabina Misoch über das Verhältnis der Schweizer zu Robotern und das Potenzial von technologischen Hilfsmitteln für ältere Menschen.

5000 Roboter-Robben in über 30 Ländern

Shibata hat die Roboter-Robbe vor fast 20 Jahren in Japan entwickelt. Mittlerweile kommt sie in mehr als 30 Ländern auf der ganzen Welt zum Einsatz, unter anderem in Dänemark, Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, in der Schweiz und den USA sowie in Australien und Neuseeland. «5000 dieser Roboter-Robben gibt es momentan, 3000 davon in Japan», sagt der Wissenschaftler. PARO wurde hauptsächlich für Menschen mit Demenz entwickelt. Er wurde aber auch schon an Kindern, die an Autismus leiden, oder an erwachsenen Menschen mit einer Hirnverletzung getestet. Die meisten dieser Roboter kommen deshalb auch in Spitälern und Heimen zum Einsatz. In Japan allerdings sind sie für ältere Menschen auch eine Art Ersatz-Haustier, dann, wenn sie in ihrer Wohnung keine Hunde oder Katzen halten dürfen.

Die flauschige Roboter-Robbe ist 2,5 Kilogramm schwer. Sie kann ihren Kopf, ihre Flossen und die Augen bewegen – und macht Geräusche. «Sie imitiert die realen Laute einer Baby-Robbe», sagt Takanori Shibata. Ausserdem kann sie aufgrund von eingebauten Sensoren beispielsweise Licht und Dunkelheit erkennen, sie kann sich einen Namen merken oder Berührungen spüren und speichern. Ihr Preis: 5500 Euro.

«PARO mag es, wenn man ihn streichelt, er mag es aber nicht, wenn man ihn schlägt», so der Wissenschaftler. Pflegen kann PARO zwar nicht, dafür aber Menschen zu mehr Aktivität bewegen. Untersuchungen hätten ergeben, so Takanori Shibata, dass Menschen mit Demenz dank der Roboter-Robbe weniger Stresssymptome und Aggressivität zeigten, dafür umso mehr kommunizierten und entspannter waren. «Und wenn diese Menschen dann noch länger zu Hause bleiben und wir dadurch Gesundheitskosten sparen können, dann haben wir unser Ziel erreicht», sagt Takanori Shibata.

PARO in den Living Labs testen

Für Sabina Misoch ist Japan der Schweiz bezüglich der demographischen Entwicklung weit voraus. «In Japan ist bereits heute etwa ein Drittel der Bevölkerung 65 Jahre alt und älter. Das heisst, die japanische Gesellschaft ist an einem Punkt, an dem wir im Jahr 2050 sein werden.» Deshalb sei es interessant zu sehen, welche Lösungen die Japaner hätten. PARO könnte eine davon sein und deshalb möchte ihn Sabina Misoch in ihre Living Labs aufnehmen. Bei diesem Forschungsprojekt werden technische Assistenzsysteme und Dienstleistungen im realen Lebensumfeld von älteren Menschen getestet. Ziel ist es herauszufinden, welche technischen Hilfsmittel es ihnen möglich machen, länger in ihrem Zuhause bleiben zu können. Für PARO bedeutet das: die flauschige Roboter-Robbe soll bei jenen Menschen zum Einsatz kommen, die an Demenz im Frühstadium leiden, aber noch in ihren eigenen vier Wänden wohnen können.

«Wir nennen diese Technologien Active Assisted Living, kurz AAL, das tönt weniger furchteinflössend als Roboter», sagt sie, denn Sabina Misoch weiss: «Roboter haben bei uns in der Schweiz keine grosse Akzeptanz, vor allem im pflegerischen Bereich.» Wenn es nach der Altersforscherin geht, soll sich dies aber bald ändern. «Technologien haben grosses Potenzial, ältere Menschen in ihrem Leben zu unterstützen. Sie können im Alltag behilflich sein und ihnen dadurch ermöglichen, länger in den eigenen vier Wänden wohnen zu bleiben.» In Heimen und Institutionen könnten die technologischen Hilfsmittel das Pflegepersonal entlasten, zu Therapiezwecken genutzt werden oder für Unterhaltung sorgen. Bis es aber soweit ist, braucht es noch einiges an Aufklärungsarbeit. «Deshalb arbeiten wir bei den Living Labs eng mit den älteren Menschen zusammen. Sie sollen die Angst vor den technologischen Hilfsmitteln verlieren und deren Nutzen erkennen.»

Fotos: Lea Müller